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Drei Flüsse und viele Auen

  • Autorenbild: Luftibus
    Luftibus
  • 5. Mai 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Auf einer Bike-Tour von Frauenfeld nach Eglisau folgen wir dem Lauf der drei Flüsse Murg, Thur und Rhein. Wir machen halt in der Kartause Ittingen, an den Stränden der Thur und in der grössten Auenlandschaft des Mittellandes.

Die Thur mit Uferweg bei Gütighausen.



Ein Auenwäldchen, Tümpel, Apfelbäume, Reben und sattgrüne Wiesen mit Löwenzahnblüten säumen unseren Weg. Auf einer natürlichen Terrasse oberhalb der Thur erreichen wir eine Gruppe von historischen Gebäuden. Über dem Tor zur Kartause Ittingen ragt eine weisse Statue in den blauen Himmel.


Es ist das Abbild des heiligen Bruno, der im savoyischen Gebirge den Orden der Chartreuse (Kartäuser) gegründet hat. Gut 900 Jahre später ist die Kartause Ittingen ein Musterbeispiel der Umnutzung historischer Liegenschaften. Sie gehört zu den bedeutendsten Kulturdenkmälern der Ostschweiz.

Das Tor zur Kartause Ittingen mit dem heiligen Bruno.


Es gibt hier 68 Hotelzimmer, ein Restaurant, eine Bar, zwei Museen, mehrere Seminarräume und 1000 Rosenstöcke, die während unseres Besuchs im April leider noch nicht blühen. Der Klosterhof bewirtschaftet 100 Hektaren Land mit Vieh, Obst, Wein, Gemüse, Getreide, Honigbienen und Zuchtforellen. 250 Menschen arbeiten hier. Getragen wird die Kartause Ittingen von einer Stiftung, die diese Anlage 1983 für 49 Millionen Franken renoviert und vor dem Zerfall gerettet hat.


Proviant aus dem Klosterladen

Vor einer halben Stunde sind wir mit leeren Rucksäcken am Bahnhof Frauenfeld angekommen. Auf unseren Bikes sind wir dem Flüsschen Murg gefolgt, haben die Thur überquert und anschliessend den kurzen Anstieg zur Kartause erklommen. Nun wollen wir im Klosterladen unsere Rucksäcke füllen.


Wir sind beeindruckt von der grossen Auswahl und der schönen Aufmachung der hausgemachten Produkte. Wir entscheiden uns für ein paar Brötchen aus der hauseigenen Holzofenbäckerei, je einen Halbhart- und Weichkäse, gedörrte Früchte und Apfelsaft.

In den Auenwäldern entlang der Thur wächst viel Bärlauch...


Die angenehme Stimmung auf dem sorgsam instandgehaltenen Klosterareal lässt nicht vermuten, welchen Spannungen dieser wunderbare Ort im Laufe der Jahrhunderte ausgesetzt war.


Allein die Gründungslegende gäbe Stoff für einen gruseligen Film: Mitte des 12. Jahrhunderts soll ein Störmetzger in der damaligen Burg von Ittingen Tiere geschlachtet haben. Seine Arbeit habe die Buben des Truchsessen (Tafelmeister des Fürsten) so beeindruckt, dass sie ihn nachgeahmt hätten. Dabei habe ein Bub einen anderen erstochen. Als Sühne für diese furchtbare Tat habe die Familie ein Augustinerkloster gegründet, heisst es.


Frauen besetzten die Kirche

Die weitere Geschichte zeigte, dass der blutige Ursprung dem Ort und den Menschen lange Zeit wenig Glück brachte: Das Land trug offenbar wenig Früchte, die Gebäude verlotterten und das Kloster verarmte. Im 15. Jahrhundert übernahm der Kartäuserorden die Liegenschaft.


Die grösstenteils aus dem Ausland kommenden Mönche lebten und arbeiteten in strenger Abgeschiedenheit. Den gläubigen Frauen in der Nachbarschaft, die in der Kirche Gottesdienste besuchen wollten, gefiel dieses Gebaren nicht. Sie besetzten die Klosterkirche und liessen sich nicht vertreiben, bis ihnen die eidgenössische Tagsatzung den Bau einer Kapelle im Dorf Warth versprach.

...und Schachtelhalm, auch Katzenschwanz genannt.


Bald gab es weiteres Ungemach: 1524 hatte der katholische Landvogt von Frauenfeld in Stein am Rhein einen reformierten Priester gefangen genommen. Mehrere tausend Männer zogen Richtung Frauenfeld, um den Priester zu befreien. Die Thur führte viel Wasser und hielt die Männer von ihrem Ziel ab. Nach einer Nacht im Freien stürmten die hungrigen und wütenden Männer die Kartause.

Der Ittinger Sturm in einer Darstellung von Heinrich Thomas (1605).


Sie plünderten die Vorräte (den Überlieferungen nach vor allem den Weinkeller) und legten einen Brand, der verheerende Schäden anrichtete. Die drei Rädelsführer wurden hingerichtet, und das Kloster erholte sich erst nach Jahrzehnten von diesem Ittinger Sturm. Von 1867 bis 1977 befand sich die Liegenschaft in Privatbesitz, die 1977 gegründete Stiftung Kartause Ittingen nutzte die Liegenschaft nachhaltig um und machte sie zu dem, was sie heute ist.


Erst Kiespisten, dann Singletrails

Als wir das Kloster verlassen, haben wir erst sechs von knapp 50 Kilometern in den Beinen. Wenn wir die Thurauen gründlich besichtigen wollen, sollten wir jetzt kräftig in die Pedale treten. Dies gelingt uns recht gut auf den Dammkronen entlang der Thur, die mit komfortablen Kiespisten ausgestattet sind.


Auf dem zweiten Teil der Tour werden wir uns vor allem auf Singletrails bewegen, die zum offiziellen Wanderwegnetz gehören. Also beachten wir die Anstandsregeln: Wir nähern uns Fussgängern langsam und mit Klingelzeichen. Und wir steigen ab, wenn es beim Kreuzen eng wird.

Biber haben sehr starke Zähne und Kiefer.


Eine zweite Pause legen wir in der Auenlandschaft bei Niederneunforn ein. Hier stellen wir unsere Bikes am Wegrand ab und dringen über einen Pfad ins Dickicht ein aus Weiden, Pappeln, Schachtelhalmen und Bärlauch. Unter dem Gesang unzähliger Vögel treffen wir auf die Spuren der Biber, die hier leben. Wir sind beeindruckt, mit welcher Ausdauer sie an einem Stamm mit fast einem Meter Durchmesser genagt haben.


Beim Dörfchen mit dem schönen Namen Gütighausen lassen wir uns an einem sonnigen Strand der Thur zum Picknick nieder. Der Ittinger Weissschimmelkäse mit dem Namen «s'Chäsli» lässt sich wunderbar auf die Brötchen streichen. Das Slow-Food-Mittagessen schmeckt uns und gibt uns Kraft für die noch bevorstehenden zwei Stunden auf dem Sattel.


Bärlauch pflücken

Einen kurzen Halt machen wir auf der Halbinsel Tüfenau, wo wir Bärlauch pflücken. Beeindruckt sind wir von der 42 Meter hohen und 151 Jahre alten Eisenbahnbrücke bei Ossingen. Etwas flussabwärts durchqueren wir Andelfingen mit seiner alten Holzbrücke. Entlang des Unterlaufs der Thur sehen wir viele Anbauflächen.


Die Holzbrücke verbindet Andelfingen und Kleinandelfingen.


Wir befinden uns nun in der Gemüse- und Fruchtkammer des Kantons Zürich. Auch Rasenteppiche wachsen hier heran und warten auf ihren Abtransport zu Gärten und Sportplätzen. Wir sehen mit Planen zugedeckten Erdrippen, unter denen weisse Spargeln wachsen.


Nachdem wir die Gemüsefelder durchquert haben, erreichen wir die grösste Auenlandschaft des Mittellandes. Die Thurauen sind in den letzten Jahrzehnten beim Dorf Flaach entstanden, indem man die eng angelegten Dämme der Thur entfernte und die Landschaft wieder der Natur überliess.

Ein Spargelfeld bei Flaach.


Zuerst führt uns der Weg durch einen lichten Wald. Hier breiten sich um stattliche Föhren Magerwiesen aus. Früher wurden die Wiesen von Vieh «gepflegt», in den Thurauen sorgen Mähmaschinen dafür, dass kein Dickicht entsteht. Die lichten Wälder bieten Lebensraum für Orchideen, Heuschrecken, Schmetterlinge, Wildbienen, Feldhasen und allerlei Reptilien.


Weiter westlich erreichen wir die tiefer gelegenen Zonen dieser Auenlandschaft, die vor allem mit den wasserliebenden Pappeln und Weiden bewachsen ist. Bei Hochwasser durchdringt die Thur diese Wälder und sättigt den Boden mit Wasser. Es bleiben Tümpel und Weiher zurück, die von Bibern, Ringelnattern, Fröschen, Eisvögeln und vielen anderen Tieren bewohnt werden.

In den Thurauen.


Die Auenwälder sind auch ein Hochwasserschutz: Während der Schneeschmelze und nach starken Niederschlägen speichert diese Landschaft viel Wasser, das sonst andernorts über die Dämme treten würde.


Warum Biber an Stämmen nagen

Mehrmals lassen wir die Bikes stehen und besichtigen Moore und Tümpel. Am südlichen Ufer der Thur steigen wir auf einen Turm und überblicken die Landschaft. Die nachtaktiven Biber bekommen wir nicht zu Gesicht, treffen aber immer wieder auf angenagte und gefällte Bäume.


Wir fragen uns, warum Biber einen beträchtlichen Teil ihres Lebens mit dem Nagen an Holz verbringen. Die Antwort finden wir auf der Website des Naturzentrums Thurauen: Sie fällen die Bäume, damit sie an die Zweige und Knospen der Bäume kommen, die ihre Hauptnahrungsquelle sind. Einen Teil des gefällten Baumes verwenden sie für den Bau, in dem sie ihren Nachwuchs gross ziehen. Zum Schutz vor Nesträubern befinden sich die Eingänge der Bauten unter Wasser.

Der Rhein bei Flaach.


Wir verlassen die Thurauen in südlicher Richtung am Ufer des Rheins. Das Naturzentrum mit seinem Biotop wollen wir ein anderes Mal besuchen, weil wir aus Sicherheitsgründen nicht am frühen Abend in vollen Zügen heimreisen wollen. Auf dem Wanderweg zwischen dem Rhein und dem Westhang des Irchels sind gute Fahrkünste gefragt, mehrmals stossen wir unsere Bikes in diesem steilen Gelände. Wir überqueren die Mündung der Töss und gelangen schliesslich zum Bahnhof Eglisau. In unseren Rucksäcken befinden sich nur noch Tüfenauer Bärlauch und Pesto aus der Kartause Ittingen.

 

50 Kilometer dem Wasser entlang


Route: Frauenfeld (dem Lauf der Murg bis zur Mündung in die Thur folgen) – Kartause Ittingen – Uesslingen – Auenlandschaft bei Niederneunforn – Gütighausen – Andelfingen – Thurauen – Tössegg – Eglisau.



Anreise: Mit dem Zug nach Frauenfeld


Infos: Dauer (reine Fahrzeit) 3 Stunden, Distanz 49,2 km; Höhendifferenz 482 m aufwärts, 496 m abwärts.


Einkehr, Einkauf und Sehenswürdigkeiten

  • Klosterrestaurant, Klosterladen, Museen, Rosengarten der Kartause Ittingen, www.kartause.ch

  • Auenlandschaften «Inseli» bei Niederneunforn

  • Schürlibeiz zum Asperhof bei Gütighausen, www.asperhof.ch

  • Thurauen bei Flaach, Naturlandschaften, Museum und Informationszentrum, www.naturzentrum-thurauen.ch

  • Wirtshuus zum Wyberg, Freienstein-Teufen, www.wyberg.ch

  • Altstadt und Uferzone Eglisau mit diversen Restaurants und Läden


Rückreise: Mit dem Zug ab Eglisau

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